Das Ewig-Weibliche in der „Göttlichen Komödie“ zeigt sich in Dantes Schwesterseele Beatrice und in Maria, der Himmelskönigin, der weiblichen Seite Gottes.

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Tatsächlich war Dante mit Beatrice nie liiert. Er ist neun Jahre alt, als er das Mädchen zum ersten Mal sieht; sie ist damals acht Jahre, Tochter des reichen und wohltätigen Folco Portinari.

Die Begegnung verändert, ja bestimmt dennoch sein Leben, obwohl Beatrice jung mit Simone de‘ Bari vermählt wird und bereits 1290 stirbt. Da ist Dante gerade 25 Jahre alt.

Doch muss ihr erstes Zusammentreffen einen fast überirdischen Eindruck auf ihn gemacht haben, dass es eine gewaltige und fundamentale Leidenschaft in ihm auslöst, die nur auf dem Hintergrund zu verstehen ist, dass Beatrice Dantes Eva ist, er ihr Adam, sie sich also seit Urzeiten kennen.

Er begegnet ihr im Übrigen, als er 18 Jahre alt ist, wieder, mittlerweile ist er da seit mehr als fünf Jahren verheiratet, denn der damaligen Sitte entsprechend tat man ihn mit Gemma Donati zusammen, einem jungen Mädchen aus einem mächtigen Florentiner Geschlecht. Damals blieben die Kinder noch eine ganze Weile bei ihren Eltern, bis Dante, 22-jährig, seine Gemma zu sich holt.

Zwischenzeitlich ist die Liebe und Leidenschaft, die Dante für Beatrice empfand, merklich abgekühlt. Ein Jahr nach Dantes Hochzeit heiratet Beatrice – wir schreiben das Jahr 1187, ebenfalls also sehr jung; sie hat noch drei Jahre zu leben – einen Mann, den sie nicht liebt, Simone Bari, der später zu einem erbitterten Gegner Dantes werden und sicherlich an den beiden Todesurteilen ihm gegenüber beteiligt gewesen sein wird, Urteilen, die zwar nie vollstreckt wurden, aber Dante bis zum Ende seines Lebens seiner Heimat beraubten; nach Florenz kehrt er nicht mehr zurück.

Wenn es das gibt, dass zwei Seelen einander gehören, für einander seit Urbeginn bestimmt sind, wie wir das ja immer wieder in der Mythologie und Literatur finden, dann trifft dies auch auf Beatrice und Dante zu.

Viele glauben, dass Beatrice für Dante in der Göttlichen Komödie eine Allegorie darstelle, dass sie also für etwas Höheres stehe, für die Weisheit der Theologie zum Beispiel, so sagen nicht wenige Gelehrte.

Ich glaube, wer das annimmt, versteht das Wesen der Liebe nicht. Goethe hat es verstanden inmitten seiner Marienbader Elegie und einige andere haben gesehen, dass sich immer beides findet: sinnliche und geistige Liebe; nur dann nämlich ist Liebe göttlich, ansonsten ist sie strohtrocken, sinnen-los sinn-los. Vielleicht können wir Gott nur wirklich lieben, wenn wir als Mann wirklich eine Frau, als Frau wirklich einen Mann zu lieben vermögen, es zumindest bewusst versuchen.

Gegen Ende der Göttlichen Komödie verlässt Beatrice Dante wieder, sie, die ihm, nachdem Virgil Dante durch die Hölle und das Fegefeuer geführt hatte, das Paradies zeigte, ihn ermunterte, ja aufforderte, Fragen zu stellen, ihm manches erläuterte, mit ihrem Lächeln ihn immer wieder ermunterte, ihn an das göttliche Licht gewöhnte, denn von Himmelssphäre zu Himmelssphäre wurde ihr Licht heller und strahlender, dem göttlichen Licht immer ähnlicher werdend. 

Zunächst merkt er – wir befinden uns im 31., also vorvorletzten Gesang – gar nicht, dass Beatrice fehlt; der heilige Sankt Bernhard, der auf einmal da ist – er, der in seinem irdischen Leben schon die Menschen mit Maria verband und Dante mit der Mutter Gottes verbinden wird – muss ihn darauf aufmerksam machen, dass Beatrice an ihren Platz in der Himmelsrose zurückgekehrt ist. 

Da sieht er sie und seine Worte gehören mit zum Intensivsten, was im Zusammenhang mit Liebe geschrieben worden ist, wobei es so ist, dass man nicht von vornherein alles intellektuell verstanden haben muss, denn Dantes Zeilen sind die ganze Göttliche Komödie hindurch magischer Natur; wer mit ihm den Weg durch die Hölle und das Fegefeuer bis in die himmlischen Sphären gehen will, kann diesen Weg der Läuterung und des Entfachens der Liebe gehen; er muss dabei nicht alles verstanden haben, vor allem gilt es, Dantes Worte in seinem Inneren zu wiegen, wie eine Mutter ihr Kind wiegt, das Frieden finden will.

Dante nun sieht – es ist der 31. Gesang des Paradieses – Beatrice und findet zu folgenden Worten:

O du, aus der mir Kraft des Hoffens quillt,
Die in der Hölle, meines Heiles wegen
Du deine Spur zu lassen warst gewillt,
Von allem, was ich sah auf diesen Wegen
Erkenn‘ ich nur durch deine Güt und Macht
Die Gnadenwirkung und den hohen Segen.
Zur Freiheit hast du mich, den Knecht, gebracht
Durch alle Mittel und durch alle Pfade,
Die Gott zu solchem Heil wirksam gemacht.
Behüt in mir die Fülle solcher Gnade,
Dass meine Seel‘ einstmals, geheilt von Dir,
Dir wohlgefällig sich des Staubs entlade..

Dante lebt ja noch und wird in sein irdisches Leben zurückkehren müssen, doch was er betend äußert, ist, dass Beatrice helfen möge, dass seine durch sie geheilte Seele, wenn er dann stirbt, wenn er sich also des Staubs entlädt, mit der Fülle der Gnade, deren er hier ansichtig und teilhaftig geworden ist, zurückkehren kann.

Bemerkenswert ist, wie Beatrice in der Folge sich verhält:

Wiieder lächelt sie Dante an, dann aber wendet sie ihren Blick zum Urquell, zu Gott, so, als ob sie Dante sagen wolle:

Es ist gut und schön, wie sehr Du mich liebst, aber lass uns auf IHN schauen.

Nun übernimmt der heilige Sankt Bernhard, den wir als Bernhard von Clairvaux kennen, nicht von ungefähr die Führung, lag ihm doch in seinem irdischen Leben so am Herzen, die Anbetungswürdigkeit Marias zu vermitteln. Diese nämlich muss Dante anschauen, um sich vorzubereiten, damit sein Auge zum höchsten Strahl zuletzt sich schwingen kann, zu Gott.

Bernhard sagt ihm, er solle nicht mit seinem Blick am Boden kleben, sondern aufschauen. So lenkt er Dantes Blick in das obere Rund der Himmelsrose, die aufgebaut ist wie ein Amphitheater. Dort wird Dante der Himmelskönigin gewahr, deren Licht aufscheint in jener Art, die wir kennen, wenn die Sonne – Dante spricht von Phöbus Apolls Deichselbaum – ihr Strahlen am Horizont ankündigt

Doch wird Maria nicht als Oriflamme, das heißt als Kriegsfahne der Französischen Könige aufgehen, sondern eine Oriflamme (vom Lateinischen aurea flamma: Goldflamme, Goldfeuer), eine Goldflamme des Friedens, eine Friedensoriflamme, wie Dante es formuliert, sein;.

Das sei hier anlässlich diser Formulierung und Wortwahl nur nebenbei bemerkt: Dante hat in sein gesamtes Werk unglaublich viel an Wissen und Details eingebracht, die ihn neben seinem Sehertum auch als einen wirklich wissenden und weisen Menschen ausweisen. Man kann sein Werk im Grunde kaum ohne Kommentar lesen, wie er beispielsweise der Reclam-Ausgabe der Göttlichen Komödie mitgegeben ist.

Nun zu den Zeilen, in denen Dante beschreibt, wie er Maria im allerhöchsten Raum der Himmelsrose wahrnimmt:

. . . . . .Wie, wann der Morgen steiget,
Der östliche Bezirk am Himmesrand
Den überstrahlt, wo sich die Sonne neiget,
So, mit den Augen bergan gehend, fand
Ich eine Stell‘ im allerhöchsten Raum,
Die leuchtend alle Reihen überwand.
Und wie man sieht, wo Phöbus‘ Deichselbaum
Erwartet wird, dass dort es heller flamme
Und rechts und links das LIcht abnehm‘ am Saum,
So glänzte diese Friedensoriflamme
Am hellsten in der Mitt‘ und leise schwand
Nach beiden Seiten hin der Glanz der Flamme.
Zu dieser Mitte Flügel, weit gespannt,
Flog ungezählter Engel Festgepränge,
Verschieden all‘ an Kunst und Lichtgewand.
Lächelnd inmitten ihrer Tän‘ und Klänge
Saß eine Schönheit, – Seligkeit war die
In allen Augen der verklärten Menge.
Wär‘ auch mein Wort reich wie die Phantasie, –
Nur einen Teil zu schildern, noch so kleinen,
Von ihrer Wonnefülle wagt ich nie.

Was alle in der Hölle sich Befindlichen und im Fegefeuer sich Läuternden ebenso wie die Heiligen des Paradieses staunen machte, dass ein Sterblicher vor seinem Tod das Jenseits besuche, das lässt Dante dennoch voller Ehrfurcht, bescheiden und demütig bleiben. Selbst dieser große Dichter Dante, den die Romantiker in einem Atemzug mit Goethe und Shakespeare nannten, ist sich dessen bewusst, dass er all das, was er sehen darf, kaum mit Worten wiederzugeben wagen mag.

 

Bleibt noch ein Wort zum Abschluss:

Die höchste Stufe des Lichtes am Ende der Göttlichen Komödie wird das Gottes sein. Dennoch aber ist es wichtig zu wissen und zu beachten, dass die weibliche Seite Gottes, das Ewig-Weibliche – Gaia, wie es die Griechen nannten – Maria, wie es Christen bezeichnen mögen, eine entscheidende Rolle zu Beginn und am Ende dieses großen Werkes spielt.

Es war Maria, die Himmelskönigin, die die heilige Lucia zu Beginn zu Beatrice schickte, damit sie Dante helfe. Diese wird im Paradies selbst sein Führer sein und zuvor für die Hölle und das Fegefeuer ihm als Führer Virgil ausgewählt haben.

Sie, Maria, ist es also, die mit Hilfe Dantes für uns einen so intensiven und eindrücklichen Einblick initiiert, wie es Seelen geht, die nichts von Gott wissen wollen, wie es Seelen geht, die sich noch vor ihrem Tod ihm zugewandt haben, sich aber noch im Fegefeuer läutern müssen, und wie es den Seligen und Heiligen im Paradies geht.

Nicht von ungefähr öffnet Beatrice für Dante die Tür zum heiligen Bernhard und dieser öffnet sie zu Maria.

Nur sie ist es, die Dante auf das Lichtmeer Gottes vorbereiten kann.

In Dantes Werk kommt dem Weiblichen, dem Ewig-Weiblichen eine Bedeutung zu, wie sie unsere Gegenwart diesem noch nicht geben kann. An Beatrice und der Himmelskönigin wird das wahrlich deutlich.

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