Friedrich Schiller: Das Geheimnis der Reminiszenz

Schillers Umgebung schüttelt über den 22-Jährigen nur den Kopf: Wie kann sich dieser junge Starpoet auf diese Stuttgarter Hauptmannswitwe einlassen, der man nachsagt, sie mache nicht ungern von ihrem Eindruck, den sie auf junge Männer macht, Gebrauch.

Wie intensiv nun auch das Verhältnis Schillers mit der 8 Jahre älteren Luise Vischer – übrigens für länger als ein Jahr seine Vermieterin – gewesen sein mag, wir verdanken dieser Liaison doch einige Gedichte, die sogenannten Laura-Gedichte.

Jenes mit dem Titel „Das Geheimnis der Reminiszenz“ umfasste ursprünglich 29 zum Teil ziemlich schwülstige Liebesstrophen, die Schiller in seiner von ihm bereinigten Ausgabe um 17 auf insgesamt 12 Strophen ausdünnte.

In welchem Ausmaß die Liaison nun auch immer eher einer Testosteron-Beziehung geglichen haben mag, auffallend ist, dass der junge Schiller in seinem Gedicht genau das anspricht, was sich im Grunde bei genauer Übersetzung der Schöpfungsgeschichte aus dieser ergibt: dass zu jedem Adam eine Eva gehört, dass es das gibt, jenen berühmten Seelenpartner, der nur zu mir gehört, und dass wir ursprünglich ein Wesen waren, miteinander verflochten, seit Ewigkeiten.

Jene berühmte Trennung, man denke an Adams Rippe: auch darauf geht Schiller ein und bezeichnet Laura und sich infolge jener Trennung als Trümmer. Deshalb zieht es ihn magisch zu ihr, damit sie beide wieder heil werden mögen, wieder e i n Gott, „ein schaffend Leben“.

Im Rahmen des Beitrags „Das männlich-weibliche Urwesen des Menschen“ habe ich mich näher dazu geäußert.

Hier nun die bereinigten 12 Strophen, beeindruckend in ihrem Schwung und in ihrer Leidenschaft:

 

Friedrich Schiller(1759-1805)
Das Geheimnis der Reminiszenz

Ewig starr an deinem Mund zu hangen,
Wer enthüllt mir dieses Glutverlangen?
Wer die Wollust, deinen Hauch zu trinken,
In dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken?

Fliehen nicht, wie ohne Widerstreben
Sklaven an den Sieger sich ergeben,
Meine Geister hin im Augenblicke,
Stürmend über meines Lebens Brücke,
Wenn ich dich erblicke?

Sprich! Warum entlaufen sie dem Meister?
Suchen dort die Heimat meine Geister?
Oder finden sich getrennte Brüder,
Losgerissen von dem Band der Glieder,
Dort bei dir sich wieder?

Waren unsre Wesen schon verflochten?
War es darum, dass die Herzen pochten?
Waren wir im Strahl erloschner Sonnen,
In den Tagen lang verrauschter Wonnen
Schon in Eins zerronnen?

Ja, wir waren´s! – Innig mir verbunden
Warst du in Äonen, die verschwunden;
Meine Muse sah es auf der trüben
Tafel der Vergangenheit geschrieben:
Eins mit deinem Lieben!

Und in innig festverbundnem Wesen,
Also hab´ ich´s staunend dort gelesen,
Waren wir ein Gott, ein schaffend Leben,
Und uns ward, sie herrschend zu durchweben,
Frei die Welt gegeben.

Uns entgegen gossen Nektarquellen
Ewig strömend ihre Wollustwellen!
Mächtig lösten wir der Dinge Siegel,
Zu der Wahrheit lichtem Sonnenhügel
Schwang sich unser Flügel.

Weine, Laura! dieser Gott ist nimmer,
Du und ich des Gottes schöne Trümmer,
Und in uns ein unersättlich Dringen
Das verlorne Wesen einzuschlingen,
Gottheit zu erschwingen.

Darum, Laura, dieses Glutverlangen,
Ewig starr an deinem Mund zu hangen,
Und die Wollust, deinen Hauch zu trinken,
In dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken.

Darum fliehn, wie ohne Widerstreben
Sklaven an den Sieger sich ergeben,
Meine Geister hin im Augenblicke,
Stürmend über meines Lebens Brücke,.
Wenn ich dich erblicke.

Darum nur entlaufen sie dem Meister,
Ihre Heimat suchen meine Geister,
Losgerafft vom Kettenband der Glieder,
Küssen sich die lang getrennten Brüder
Wiederkennend wieder.

Und auch du – da mich dein Auge spähte,
Was verriet der Wangen Purpurröte?
Flohn wir nicht, als wären wir verwandter,
Freudig, wie zur Heimat ein Verbannter,
Glühend aneinander?

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