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„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort.
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.“

(Joseph Eichendorff, Wünschelrute)

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Manchen Blick vergisst man nie. Es gibt Augen-Blicke, die sich unauslöschlich auf der Festplatte unseres Lebens eingraviert haben und eingravieren.

Ein morgendlicher Halt, mitten auf einer kleinen Brücke; die Luft riecht so, wie sie nur in Frankreich riecht, würzig und immer ein bisschen vermischt mit Rauch aus einem Kamin; unter mir fließt die Dordogne. Ich sehe sie nur zum Teil, denn Nebelschwaden treiben wie über das Wasser gehaucht auf der Oberfläche … ich will nicht mehr weg … mir ist alles unglaublich vertraut hier, hätte ich nur ein Boot und könnte es hier festmachen … wenn die anderen bloß nicht aufbrechen wollten … es ist, als ob die Nebel über den Wassern mir etwas erzählen … als ob alle meine Sinne Inneres und Äußeres eins werden lassen wollen …

Als ich weiterfahre habe ich einen Schmerz in mir, eine Sehnsucht nach diesem Ort … noch heute klingt er in mir …

Oder: Das Zimmer ist bezogen, wir sind in einer eher kleinen Stadt Apuliens und meine Freunde und ich bummeln durch die Gassen. Wiedermal sind wir auf einer Radtour, der Tag war anstrengend und wir genießen das langsame Spazierengehen. Wir Drei betreten eine Kirche und verlieren uns in ihr, der eine geht zum Altar, der andere zu den Bildern auf der Seite, ich stehe noch etwas unentschlossen, als zwei Mönche auf mich zukommen und einer auf italienisch zu mir sagt: Der Herr ruft dich!

In mir ist plötzlich ein Meer, auf dem viele Hölzer treiben, ich mittendrin, und ich suche das Schiff, das gerade noch da war … ein Bruchteil von Sekunden, ich greife ins Leere … Wie von fern höre ich mich auf Deutsch sagen:“Ich weiß nicht, was Sie meinen“, und sehe mich demonstrativ die Schultern heben …

Ich bin fassungslos, und nach einem kurzen Innehalten drehe ich mich um und eile auf meinen Freund Thomas zu. Nicht, dass ich ihm etwas erzählt hätte, aber ich war innerlich hilflos. Noch später war die Situation für mich vollkommen unerklärlich. Der Tourist war mir auf zwei Kilometer anzusehen gewesen, mein Aussehen – unrasiert und die Hose reichlich zerknittert – sicherlich nicht gerade dieser kleinen Kathedrale würdig. Noch heute empfinde ich diese Zielsicherheit, mit der die beiden Mönche auf mich zukommen. Für sie war offensichtlich, dass ich der Richtige bin, dass sie nur mich ansprechen wollten. – „Der Herr ruft Dich.“ – Welcher Herr ruft mich? Ihr Abt? Oder meinen sie jenen Anderen? – Mir kommt eine Geschichte meiner Kindheit in den Sinn, die ich wieder und wieder gelesen habe; sie handelt von dem Jungen Samuel, der im Tempel vom Herrn gerufen wird und zunächst glaubt, der Hohepriester rufe ihn. Ich erinnere mich der Bilder meiner Kindheit und wie sehr ich mich in diesen Knaben hineinversetzte. Ich denke an jenen Traum und dass ich aufwache und die Worte höre: „Tut-ench-Amun ruft Dich!“ Mir fällt ein weiterer Traum ein, in dem ich in einer Landschaft bin, die mir wie ein Paradies vorkommt. Ich sitze auf einer Schaukel, die sich immer auf und ab bewegt, immer in der Vertikalen; dabei steht ein alter weiser, weiß gekleideter Mann, der die Schaukel dirigiert und ihre Bewegung nach unten verstärkt, so dass sich auch die Aufwärts-Bewegung verstärkt, und ich höre diese Melodie, die ein einziges Wort intoniert, immer wieder, ein Wort, das es eigentlich gar nicht gibt …

Worte können in falsche Hände geraten, wie in die Hände von Ali Babas Bruder; den kostet es das Leben, als er angesichts so vielen Reichtums, der ihm nicht zusteht, das Zauberwort Sesam vergisst. Mit Gerste, öffne dich öffnet sich die Tür der Höhle nicht mehr und die 40 Räuber bringen ihn bei ihrer Rückkehr um. Vergleichbar geht es dem reichen Bruder in Simeliberg, dem Märchen der Gebrüder Grimm, der durch Drohungen gegenüber seinem armen Bruder an das Zauberwort gelangt, das ihm den Zugang zu jenem Berg Semsi öffnet, in dem sich ungeahnte Schätze finden. Doch vergisst er die Zauberformel Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf! Stattdessen ruft er Berg Simeli, Berg Simeli, tu dich auf! Doch nichts mehr rührt sich, und bei den Gebrüdern Grimm sind es 12 Räuber, denen er abends zum Opfer fällt; so ist der Titel des Märchens Mahnung zugleich.

Worte haben eine ihnen eigene Macht; ein einziges Wort kann Träger einer so großen Wahrheit sein …

Ich möchte mich hier Worten zuwenden, die zur Wahrheit führen in jenem Sinne, in dem Novalis dichtete:w

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt von Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort..

Ähnlich mag es sich verhalten mit Tönen und Farben … sie verändern die Welt, sie können uns auch zur Wahrheit führen, ich denke an Mona Lisa und die große Wahrheit, welche hinter diesem Gemälde steht … irgendwann dazu mehr …

Die Märchen, Geschichten, Gedichte, Auszüge aus Schauspielen, aus Romanen oder aus Sachbüchern die ich hier einbringe: Mit ihnen ist es mir so gegangen … sie haben in mir etwas ausgelöst, mich geprägt, und wenn es Dir, liebe Leserin, lieber Leser mit dem ein oder anderen Wort auch so geht oder gegangen ist und Du es mitteilen magst, freue ich mich über einen Kommentar oder eine Mail.

Warum ich diesen Blog Methusalem nenne?

Als ich darüber nachdachte, wie ich diesen Blog nennen könnte, kam mir der Gedanke, ihn Methusalem zu nennen. Seit es Menschen gibt, gibt es Zeugnisse ihres Geistes, wenn wir sie auch nicht bis zu ihm zurückverfolgen können … wer weiß, vielleicht begegnet mir Methusalem ja einmal im Traum, wie einst Tut-Ench-Amun.

Die 7 neuesten Beiträge findest Du in der rechten Seitenleiste oben unter „zuletzt veröffentlicht“ gelistet; alle anderen kannst Du über das Archiv aufrufen; die Kategorie „Fülle des Lebens“ listet ebenfalls alle Beiträge auf.

Und natürlich freue ich mich über einen Kommentar oder eine Mail, in dem bzw. in der z.B. steht, was Dir bei dem Text, den Du gelesen hast, in den Sinn kommt, welche Bedeutung er für Dich hat … das wäre klasse …

♥ ♥ ♥

*   Worte, welche die Welt verändern   *♥ ♥ ♥

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Und Gott sprach: „Es werde Licht!“
Und es ward Licht.

(1. Buch Mose)

Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht.
Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste.
Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen.
Das ist das Wichtigste von allem.

(Konfuzius)

Jedwedes blutgefügte Reich
Sinkt ein, dem Maulwurfshügel gleich.
Jedwedes lichtgeborne Wort
Wirkt durch das Dunkel fort und fort.

(Oskar Loerke, geschrieben im Nov. 1940)

Sie sagte ihm ein wunderbares geheimes Wort in den Mund,
Was sein ganzes Leben durchklang.

(Novalis, Heinrich von Ofterdingen)

Jetzt aber tagt´s! Ich  harrt  und sah es kommen,
Und was ich sah, das Heilige sei mein Wort.

(Hölderlin, Wie wenn am Feiertage)

 

2 Antworten zu ❃ Zu diesem Blog ❃

  1. Gertrud Westrup schreibt:

    Lieber Johannes Klinkmüller,

    ich freue mich immer wieder wenn ich Neues von Ihnen lesen darf. Manchmal paßt es so genau für mich. So der Eintrag über die Wolfsfrau. Dieses Buch lese ich seit 10 Jahren und als ich vor einigen Wochen wieder in die Hand nahm hatte ich das Gefühl erst jetzt zu verstehen, was gemeint ist. Das Gefühl kenne ich auch bei anderen Begebenheiten und ich denke es ist wie bei einer Zwiebel, mit dem Lösen der nächsten Haut kommt man immer etwas näher zum Inneren.
    Einen schönen Sonntagabend
    wünscht
    Gertrud

  2. Ja, liebe Gertrud, so empfinde ich es auch, dass man Haut für Haut abtragen muss, um sich näher zu kommen; manche Haut löst sich leicht, manche braucht ihre Zeit … oder mehrere Anläufe …
    Ich finde, Hilde Domin hat das auch, aber in anderen Bildern, wirklich treffend ausgedrückt:
    http://ethikpost.blogspot.com/2009/07/stets-von-neuem-zu-sich-selbst.html
    Danke für Ihr liebes Kompliment.
    Schade, dass ich nicht mehr Zeit habe zu schreiben. Noch ein paar Jahre muss ich warten, dann muss ich keine Hefte mehr korrigieren und kann schreiben, was ich möchte :-))
    Allerdings, die Kinder werde ich dann bestimmt vermissen. Durch sie habe ich so viel gelernt.
    Liebe Grüße,
    Johannes

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