Was Hölderlin ahnte, Rilke wusste und Mikhaël Aïvanhov offenlegt: Herbst ist die Zeit des Eigentums – nur ein geschützter Herd ist Goldes wert.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Herbstgedicht Hölderlins, Mein Eigentum, und auf Rilkes Herbsttag, die ich beide an anderer Stelle unter anderen Gesichtspunkten interpretiert habe (siehe die vorausgehenden Verlinkungen); hier jedoch möchte ich Tiefergehendes ansprechen und ziehe zur Verdeutlichung Aïvanhovs Buch der göttlichen Magie hinzu, wissend, dass die Gegenwart des bulgarischen Philosophen und spirituellen Lehrers den ein oder anderen abschrecken wird, was in unserer Zeit allerdings die Wahrheit des von ihm Gesagten eher bestätigen mag. Aïvanhov schreibt auf den letzten Seiten seines Buches Folgendes – und ich schicke es der Annäherung an Hölderlins Verse deshalb voraus, weil es, deren Tiefgang zu verstehen, erleichtert:

Aus der Beobachtung der Natur heraus können wir feststellen, daß sich jede Kreatur eine Wohnstätte aussucht und sie verteidigt. Die Vögel bauen Nester, alle anderen Tiere haben ein Schlupfloch oder irgendein Versteck. Wenn ein anderes Tier sich anmaßt, ihren Platz zu beanspruchen, schlagen sie drauflos. Ja, aufpassen, Privatbesitz! In jeder Kreatur fördert die kosmische Intelligenz das Bedürfnis, sich ein eigenes Plätzchen im Universum vorzubehalten; die anderen sind nicht berechtigt, es in Anspruch zu nehmen; die kosmische Intelligenz hat es so geplant, damit alle Kreaturen in Frieden und Ruhe schaffen und ihre Nachkommenschaft zur Welt bringen können. Das ist ein Gesetz.

Jedes Wesen ist also von Natur aus berechtigt, eine eigene Wohnstätte zu besitzen. Dieses gilt für die sichtbare wie auch für die unsichtbare Welt. Im unbegrenzten Weltraum hat jeder Geist einen ihm vorbehaltenen Platz. Jede Wesenheit auf der spirituellen Ebene bewohnt einen festgelegten Ort, der durch bestimmte Vibrationen, bestimmte Farben  oder durch ein besonderes Kennzeichen geschützt wird: Wer nicht mit bestimmten Vibrationen ausgestattet ist, hat keinen Zugang; folglich bleiben Störungen ausgeschlossen.

Im Folgenden weist Aïvanhov darauf hin, dass Menschen, die darum wussten, sich durch das Anzünden von Kerzen und das Einbeziehen von Symbolen – wir finden das z.B. auch in Goethes Faust in der Verwendung des Pentagramms – oder das Niederschreiben eines heiligen Namens, um den ein Kreis gezogen wurde, zu schützen vermochten. Deshalb auch hat man früher Kräuterbüschel – unter anderem das Johanniskraut, ein Vertreiber von Teufelsgeistern – an die Haustüre gehängt (heute denken viele, dass die damals halt  ein bisschen gesponnen hätten) – und ebenfalls damit hat zu tun, dass ein Priester zu Beginn einer Messe eine oder mehrere Kerzen anzündet. Auch Kafka wusste um diese Symbolik, wenn Josef K. in seinem Roman Der Prozess vom Gefängniskaplan ein Licht überreicht bekommt, als jener ihm die Türhüterlegende erzählt, die ihm hätte ein Schlüssel zur rettenden Erkenntnis sein können.

Aïvanhov fährt fort:

Wenn ihr eine Kerze verwenden müßt, wäre es empfehlenswert, sie vorher einer bestimmten Idee oder einer göttlichen Wesenheit zu widmen, z.B. der Göttlichen Mutter, dem Himmlischen Vater, dem Heiligen Geist, der Universellen Seele, dem Erzengel Michael … In der unsichtbaren Welt wird die Flamme dieser Kerze zu einer Lichtschranke um euch herum.

Überall, wo Menschen leben, gehen unbemerkt Millionen, sogar Milliarden von Wesenheiten hin und her. Tut ihr nichts, um euch gegen die niedrigen Wesenheiten zu schützen, so werden diese vor einer offenen Tür nicht zögern und ungebeten eintreten, euch bestehlen oder weiteren Schaden anrichten. Ihr könnt euch dann nicht bei der göttlichen Gerechtigkeit beklagen (…) Ist euer Weingarten nicht eingezäunt, dann ist es kein Wunder, dass sich andere an euren Trauben laben.

Genauso steht es mit eurem Herzen, eurer Seele, eurem Geist: Bleiben sie ungeweiht Wind und Wetter ausgesetzt, sind sie nicht von einer Lichtschranke umgeben, so werden die unerwünschten Geister der Finsternis dazu berechtigt, Schaden zu stiften und sich all eurer Schätze zu bemächtigen. (…) In sich selber birgt der Mensch die notwendige Kraft, den Geistern der Finsternis nein zu sagen, ihnen Widerstand zu leisten; wenn er es nicht tut, wird niemand anderes für ihn da sein (…) Alles hängt  vom Besitzer, vom Hausherrn ab. Sein Entschluss ist auschlaggebend. Die Engel und Erzengel haben kein Recht, sich ohne unsere Zustimmung in uns niederzulassen; Gewalt wenden sie nie an. Die anderen  hingegen, die unter dem Zeichen der Gewalt geboren wurden [gemeint sind die niederen Geister; J.K.], lassen sich nicht einschüchtern und nisten sich gewaltsam ein.

Die lichtvollen Geister sind voller Ehrfurcht und warten, bis sie gebeten werden einzutreten; dagegen sind die Geister der Finsternis keck und respektlos.

Aïvanhovs Aussagen vermitteln zugleich, dass es sich viele religiös bzw. spirituell orientierte Menschen zu leicht machen; sie legen sich auf den Rücken und stammeln: Hilf mir, Herr. Wenn dann der Herr nicht hilft, beschweren sie sich vorwurfsvoll, stundenlang gefleht und gebetet zu haben, doch geholfen habe er nicht. – So einfach aber ist es nicht, denn es gilt, selbst eine geistige Tat zu tun (und eine einmalige sehr bewusste ist wesentlich besser als eine stundenlange Stammelei), die sogar eine ganz physische sein kann, indem man eine Kerze anzündet oder ein Pentagramm – das Symbol des wahren Menschen unserer Bewusstseinsstufe – malt und richtig aufhängt. Manche halten solches Tun für verwerfliche Magie, ohne zu wissen, dass Menschen sie seit Jahrtausenden praktizieren, leider in der Vergangenheit oft schwarzmagisch wesentlich effektiver als weißmagisch, wie wir es von Hitler und den Faschisten, auch den zeitgenössischen, wissen. Ihre Rituale und Symbole sind schwarzmagisch leider sehr effektiv, man denke  nur an die Verwendung der Swastika, eines eigentlich heiligen Symbols der Hindus.

Gott sei Dank gilt diese Wirkkraft auch für die wahre Magie, die weiße, die nichts anderes zur Voraussetzung hat als ein aufrichtiges Hingewendetsein zu Gott.

Wie sehr Hölderlin darum wusste, zeigt die letzte Strophe seines Gedichtes Mein Eigentum:

Ihr segnet gütig über den Sterblichen,
Ihr Himmelskräfte! jedem sein Eigentum,
……O segnet meines auch, und daß zu
………Frühe die Parze den Traum nicht ende.

Wir lesen aus diesen Zeilen das Bewusstsein, dass jedem SEIN Eigentum zusteht und dass die Himmelskräfte es zu segnen, mithin zu schützen vermögen. Dass das Bewusstsein Hölderlins tiefer geht, als diese Zeilen vermitteln, möchte ich im Folgenden darlegen, aber auch, warum ich glaube, dass es noch nicht tief genug ging, jedenfalls nicht so tief, wie es heutigen Menschen gegebenenfalls möglich ist.

Ich vermute, dass Rilke manches mental bewusster war als Hölderlin. Er wusste wie jener, dass man spätestens im Herbst sein Haus gebaut haben muss, denn es heißt in Herbstag, 1902 in Paris verfasst, nicht von ungefähr, resolut geschrieben:

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Im Winter zur Ruhe zu kommen, ja still für die Stille Nacht, setzt voraus, im Herbst nach Hause zu gelangen, wenn die Natur nicht von ungefähr sich nach innen kehrt. Rilke allerdings hat sich Zeit seines Lebens nie ein materielles Haus gebaut, nie eine Wohnung wirklich sein Eigen genannt; vielleicht blieb er seelisch-geistig immer auf der Suche, kam innerlich nie wirklich zur Ruhe, was sich meines Erachtens in seiner letzten Schaffensperiode vor allem aus dem Inhalt der Duineser Elegien ergibt, wobei ich mir nicht anmaße, das letztendlich beurteilen zu können. Doch wie die Leser dieser Seiten wissen, habe ich wiederholt darauf verwiesen, dass Rilke sich im Grunde Zeit seines Lebens okkulten Praktiken hingab, was auch mit seiner engen Beziehung zur Gräfin von Thurn und Taxis zusammenhing, die auf diesem Gebiet sehr aktiv war und immer wieder Séancen veranstaltete. Weil die deutsche Germanistik auf diesem Auge total blind ist und die meisten Philologen von diesem Gebiet nichts wissen wollen, oft aus einer intellektuellen Arroganz allem Spiritistischen gegenüber (oder aus klammheimlicher Angst, diesem Gebiet mit ihrem Intellektuallismus nicht gewachsen zu sein), ist im Grunde nie darüber geschrieben worden; nur einer hat dies meines Wissens getan, wissenschaftlich ausgesprochen seriös und ausführlich, Gissli Magnusson, und was er in seiner Arbeit schreibt – hier zwei Auszüge – war für mich in gewisser Weise erschütternd im Hinblick auf Rilke.

Ich vermisse gerade in dessen letzter Schaffensperiode eine Gewissheit um eine spirituelle Heimat. – Das ist leichter gesagt als vollbracht und niemand unterstelle mir, ich würde mir anmaßen, mich über Rilke zu stellen oder ein dezidiertes Urteil abgeben zu können. Ich nehme allerdings an, dass dessen Heimatlosigkeit, mit seinem okkulten Engagement zusammenhängt. Dieses Engagement ist in der Lage, die Seele auf einer spirituell niederen Ebene festzuhalten, denn niemand, der sich solchen Praktiken hingibt – und das gilt auch für das Pendeln oder Kartenlegen – weiß, mit wem er es auf einer jenseitigen Ebene zu tun hat.

Rilke hat in einem Ausmaß ein Leben lang Gott gesucht, wie ich es für mich nicht beanspruchen kann; allerdings aber verleugnete er auch in gewisser Weise Jesus, und damit Christus; zumindest in seinem frühen Schaffen; einen diesbezüglichen Bewusstseinswandel habe ich leider bei ihm nirgendwo angedeutet gesehen. Für sein für mich nicht einsichtiges Inneres mag ich dennoch nicht unbedingt annehmen, nicht annehmen wollen, dass er eine sohn-lose Position – wie es seine frühen Äußerungen nahelegen – ein Leben lang unbedingt aufrecht erhielt. Es wäre tragisch, denn wenn der Göttliche Vater keinen Sohn kennt, gibt es auch kein Wirksamsein des Heiligen Geistes und damit kein Wirken in dessen Namen, mithin kein bewusst spirituelles menschliches Wirken. Das aber widerspricht den Aussagen des Neuen Testamentes.

Ich schreibe das auch, um darauf zu verweisen, dass man ein trinitarisches Bewusstsein ernst nehmen sollte; dieses unterscheidet das Christentum fundamental vom Islam, der für mich ein Gegenentwurf zum Christentum ist (wobei ich sicher bin, dass nicht wenige Muslime, ohne es zu wissen, in ihrem Bewusstsein den Sohn zulassen, an den zu glauben ihnen eigentlich ihr Allah im Koran bei Strafe untersagt. – Ich bin mir allerdings sicher, dass in Zukunft sich sowohl im Politischen die Parteien als auch im Religiösen die Religionen auflösen werden zugunsten eines offeneren menschlicheren Bewusstseins, eines geistigeren Bewussteins, das die unschönen Grabenkämpfe poltischer Parteien ausschließt und die der Religionen; von daher sollten wir uns auf gewisse Probleme nicht zu sehr kaprizieren; das würde mögliche Entwicklungen nur behindern).

Für die oben angesprochene Thematik, der sich Aïvanhov nicht von ungefähr sein Buch zur Göttlichen Magie beschließend, zuwendet, ist wichtig zu bemerken, dass Hölderlin sein Herbstgedicht Mein Eigentum überschreibt; diese Überschrift ist kein Zufall.

Ich gebe im Folgenden zunächst die ersten fünf Strophen wieder:

Mein Eigentum

In seiner Fülle ruhet der Herbsttag nun,
Geläutert ist die Traub und der Hain ist rot
……Vom Obst, wenn schon der holden Blüten
………Manche der Erde zum Danke fielen.

Und rings im Felde, wo ich den Pfad hinaus,
Den stillen, wandle, ist den Zufriedenen
……Ihr Gut gereift und viel der frohen
………Mühe gewähret der Reichtum ihnen.

Vom Himmel blicket zu den Geschäftigen
Durch ihre Bäume milde das Licht herab,
……Die Freude teilend, denn es wuchs durch
………Hände der Menschen allein die Frucht nicht.

Und leuchtest du, o Goldnes, auch mir, und wehst
Auch du mir wieder, Lüftchen, als segnetest
……Du eine Freude mir, wie einst, und
………Irrst, wie um Glückliche, mir am Busen?

Einst war ichs, doch wie Rosen, vergänglich war
Das fromme Leben, ach! und es mahnen noch,
……Die blühend mir geblieben sind, die
………Holden Gestirne zu oft mich dessen.

Für den inhaltlichen Schwerpunkt dieses Beitrags ist ein genaueres Verständnis dieser Strophen nicht zwingend wichtig und ich habe aus Gründen der Überschaubarkeit Ausführungen zu ihnen ausgelagert; wer mag, kann hier Gedanken von mir zu ihnen  lesen. Festzuhalten bleibt, dass obiger Teil der Ode mit einer spürbaren Verunsicherung endet, mit dem Wissen um den Verlust einer Liebe; das Wörtchen fromm hat uns die Dimensionen des Verlusts auf dem Hintergrund von Goethes Marienbader Elegie aufgezeigt, wie ich an der verlinkten Stelle ausgeführt habe.

Die Strophen 6 – 13 sind es, die mich vor allem im Hinblick auf unsere Thematik, der des Eigentums und des Herdes innerlich berühren und bewegen. Heimischer Herd ist Goldes Wert, heißt es, und immer wieder wird darauf verwiesen, dass zumindest in früheren Zeiten der Herd Zentrum des Hauses war, ein Mittelpunkt, um den sich gerade im Winter Menschen so gern versammelten.

Im Geistigen ist die Sonne unser Herd. Sie ist unsere Wärmequelle und nicht von ungefähr kommt Christus aus der Sonne. Ob uns das bewusst ist, ob es Hölderlin bewusst ist, darauf kommt es nicht einmal so sehr an; denn es ändert an der Tatsache nichts. Umso aufschlussreicher ist, was Hölderlin schreibt:

Beglückt, wer, ruhig liebend ein frommes Weib,
Am eignen Herd in rühmlicher Heimat lebt,
……Es leuchtet über festem Boden
………Schöner dem sicheren Mann sein Himmel.

Denn, wie die Pflanze, wurzelt auf eignem Grund
Sie nicht, verglüht die Seele des Sterblichen,
……Der mit dem Tageslichte nur, ein
………Armer, auf heiliger Erde wandelt.

Zu mächtig, ach! ihr himmlischen Höhen, zieht
Ihr mich empor, bei Stürmen, am heitern Tag
……Fühl ich verzehrend euch im Busen
………Wechseln, ihr wandelnden Götterkräfte.

Doch heute laß mich stille den trauten Pfad
Zum Haine gehn, dem golden die Wipfel schmückt
……Sein sterbend Laub, und kränzt auch mir die
………Stirne, ihr holden Erinnerungen!

Und daß mir auch, zu retten mein sterblich Herz,
Wie andern eine bleibende Stätte sei,
……Und heimatlos die Seele mir nicht
………Über das Leben hinweg sich sehne,

Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl! sei du,
Beglückender! mit sorgender Liebe mir
……Gepflegt, der Garten, wo ich, wandelnd
………Unter den Blüten, den immer jungen,

In sichrer Einfalt wohne, wenn draußen mir
Mit ihren Wellen allen die mächtge Zeit,
……Die Wandelbare, fern rauscht und die
………Stillere Sonne mein Wirken fördert.

Ihr segnet gütig über den Sterblichen,
Ihr Himmelskräfte! jedem sein Eigentum,
……O segnet meines auch, und daß zu
………Frühe die Parze den Traum nicht ende.

Bei umfassender Betrachtung müsste man auf das Wortfeld des Lichtes und des Himmlischen eingehen, auf die Tatsache, dass Hölderlin vom Himmel schreibt – das kann bei ihm auch den griechischen Gott Uranos betreffen; er spricht jedenfalls nicht von Gott oder Christus, ein Bezug, den er in seinen späten Hymnen, z.B. der Friedensfeier, sehr bewusst herstellt -, dass er, von Himmels- und Götterkräften sprechend, sich möglicher- wenn nicht wahrscheinlicherweise also auf die Götter vor allem Griechenlands, die ihm so wichtig waren, bezieht und nicht auf den Einen; man müsste eingehen auf eines seiner am häufigsten verwendeten Wörter, wenn er von Stille oder still spricht, ein Zustand, der dem Theologen und Bibelkenner Hölderlin so wichtig ist (durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein), wenn auch Gott David in Psalm 23 nicht, wie Luther befremdlicherweise übersetzt, zum frischen Wasser führt, sondern zum stillen, also zu einen Ort der Ruhe, an dem es möglich ist, den Himmel sich im Wasser, in der Seele spiegeln zu sehen.

Es fällt neben dem Wortfeld des Lichtes und des Leuchtens eines auf, das der Seele Hölderlins ganz offensichtlich noch bedeutsamer ist. Da ist von dem Herd die Rede, von festem Boden (und in diesem Zusammenhang vom sicheren Mann), vom eignen Grund und der bleibenden Stätte und dem Gesang als Asyl – mit ásylos ist im Griechischen ein Ort der Zuflucht gemeint -, vom Garten und vom eigenen Eigentum, das ein Wohnen in sicherer Einfalt ermöglicht.

Wie drängend muss Hölderlin dies als Anliegen gewesen sein, dass er zu einer solchen Häufung von Synonyma für ein sicheres Zuhause und Heimat greift und gewiss scheint mir zu sein, dass die ersten Strophen, die so viel Gelassenheit und Ruhe suggerieren, nicht so sicher erscheinen lassen, dass der existentielle Verlust Diotimas/Susettes  überwunden ist, worauf auch das Gedicht Palinodie, das wohl nur wenig später entstanden ist, mit seinem durchaus verzweifelten Unterton verweist.

Ja, das weitere Leben Hölderlins verweist uns darauf, dass er kein Haus, kein Seelenhaus sich hat bauen können; die Zeit seiner Seelenkrankheit dämmert 1799 schon am Horizont herauf.

Was aber bedeutet dieses Gedicht, auch das Rilkes und was bedeuten die Worte Aïvanhovs für uns?

Dass wir bewusster unseren Herd schützen, unser Haus.

Dass wir bewusster schauen, wer auf welche Weise einzudringen versucht. Da sind nicht nur mediale Gefährlichkeiten – jeder Mord im Fernsehen, die vulgäre Sprache eines Jan Böhmermann oder einer Carolin Kebekus schaden uns -; nein, es sind auch unsere so belanglos dahingesprochenen Worte, die wir sprechen, damit etwas gesagt ist, und die Negatives in uns verstärken; Worte von Bezugspersonen, die Negatives beschwören. Das hat nichts damit zu tun, das unser Gegenüber oder wir Dunkles benennen, um es uns zur Klarheit zu bringen und damit seiner Wirkung zu berauben – das halte ich für notwendig -, sondern es hat damit zu tun, dass wir und unsere Gesllschaft uns angewöhnt haben, Dinge, die destruktiv sind, schallplattenhaft und oft bis zum Erbrechen zu wiederholen. Wie oft reiht sich eine Sendung im Fernsehen an die andere über ein bedrückendes Ereignis. All das dringt in unser Haus ein und es wundert nicht, dass mancher Herd nur noch raucht und so viele innerlich nicht mehr klar atmen, sondern vor allem husten.

Bei Hölderlin ist mir einfach auffallend, dass er, obwohl doch ausgebildeter Theologe und sich von Schelling und Hegel, die Tübinger Stiftszeit beendend, auf die gemeinsame Losung Reich Gottes verständigt habend, dennoch immer und immer wieder von den Göttern spricht, damit nicht die Engelhierarchien meinend, wie zum Beispiel die Elohim, die Luther in der Schöpfungsgeschichte einfach mit Gott übersetzt, sondern die vorchristlichen Götter, die ja immer noch wirken – nach wie vor könnte es die Energie des Zeus geben, der womöglich den Menschen immer noch nicht das Feuer gönnt (ich will ihn nicht festlegen, auch Götter entwickeln sich, in welche Richtung auch immer).

Wie die Pflanze bedarf die menschliche Seele eines sicheren Ortes, eines Asyls – es bedeutet im Griechischen auch Heim  -, sonst droht sie zu verglühen, gerade angesichts der Attacken aus geistigen Regionen, die eben nicht nur Himmelblaues bereit halten.

Kein Wunder, dass Hölderlin vom frommen Weib und eigenen Herd spricht, ein Familienbild malend, das Schiller in seinem Lied von der Glocke fast zeitgleich noch  umfassender ausmalen wird (Und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau / Die Mutter der Kinder, /  Und herrschet weise / Im häuslichen Kreise) und das an Werthers sehnsuchtsvolle Worte aus Goethes Briefroman nach Herd- und Familienidylle erinnert:

Es ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren Empfindung ausfüllte als die Züge patriarchalischen Lebens, die ich, Gott sei Dank, ohne Affektation in meine Lebensart verweben kann.
Wie wohl ist mir’s, daß mein Herz die simple, harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoß, und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hatte, alle in einem Augenblicke wieder mitgenießt.

Ist das heute noch zeitgemäß?- Das lässt sich am besten mit den Worten einer Mutter, die sie mir gegenüber vor wenigen Jahren äußerte, beantworten, indem sie sagte: Ich bin froh, wenn ich wenigstens einmal in der Woche, am Samstag, alle an einem Tisch habe. – Nicht in allen Familien, aber in zu vielen, hat deren Auflösung schon längst stattgefunden. Das ist allerdings nicht nur dem Zug der Zeit, mithin dem Verlust traditioneller Werte zuzuordnen, sondern geschieht im Rahmen einer Veränderung menschlichen Bewusstseins. Der Herd der Zukunft ist nicht mehr der des Eigenheims; darauf legen Kinder und Jugendliche zunehmend weniger Wert, genauso, wie es für sie zunehmend weniger erstrebenswert ist, ein eigenes Auto besitzen zu müssen, vor 20 Jahren ein noch unvorstellbarer Einstellungswandel. Die Kinder der nachfolgenden Generationen denken nicht mehr in den Herdkategorien meiner bzw. unserer Generation. Das ist auch der Grund, warum viele Menschen politisch nach rechts rücken; sie spüren den Wandel und tun sich schwer, ihn mitzugehen oder blockieren ihn, nicht wissend, dass er  unaufhaltsam ist. Was sie allerdings auch nicht wissen, ist, dass diese Generation von Jugendlichen, die ich in den letzten Jahren meiner Zeit als Lehrer beobachtet habe, keineswegs, auch wenn sie weniger national denkt, ihr Zuhause und ihre Heimat nicht lieben; oder dass sie auf traditionelle Werte keinen Wert mehr legen – im Gegenteil. Meiner Beobachtung nach ist diese Generation, zumindest die gymnasiale, die mir zugänglich war, wertebewusster als die meisten Erwachsenen, die über den Werteverfall jammern, aber regelmäßig Essen wegschmeißen oder nach wie vor Plastiktüten kaufen, mit dem Auto zum Bäcker fahren und bei der Einkommenssteuererklärung schummeln! Ich kann auch keineswegs bestätigen, dass generell das Mobbing zunimmt. Ich habe im Gegenteil beobachtet, wie aufmerksam Jugendliche sehr oft miteinander umgehen. Es liegt nicht an ihnen, dass die kulturellen Werte verfallen und niemand mehr Goethes Iphigenie kennt, Homers Odyssee oder Die Kraniche des Ibykus, Schillers geniale Ballade. Nicht nur war es diese unglaubliche Schnapsidee eines G8, die Gott sei Dank zunehmend korrigiert wird – dank vieler Eltern, die, wo sie die Wahl haben, zumeist so eindeutig G9 für ihre Kinder wählen wie es eindeutiger kaum geht -, sondern auch, weil die Schule mit Aufgaben überladen wird, denen Grundlagenausbildung auf vielen Ebenen zum Opfer fällt. Gleichzeitig werden Kinder immer früher entkindlicht, indem sie einem zwanghaften Bildungsdenken der Erwachsenen unterworfen werden. Schrecklich!

Dessenungeachtet setzt sich die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins fort, und das denkt zunehmend weniger in althergebrachten Kategorien. Für Jugendliche ist es selbstverständlicher, mit einem Japaner zu chatten als es für einen Schwaben früherer Generationen möglich war, mit einem Badener zu sprechen oder einem Franken mit einem Bayer.

Was wird zukünftig die Wärme des Herdes sein, was wird an die Stelle des Eigentumswohnungs- oder Eigenheimherdes treten?

Es wird das Leben selbst sein. Die Wärme eines wirklich menschlichen Lebens. Ich glaube, dass nicht wenige Jugendliche auf dieses Ziel zusteuern und ich hoffe nicht, dass unsere Erde daran zugrunde gehen wird, dass zu viele Menschen, auch Jugendliche, diesen Schritt nicht mitvollziehen können.

Hölderlin deutet dieses Denken, diese Einstellung an, indem er die Himmlischen bittet, jedem sein Eigentum zu segnen, auch seines, und dass die Parze, die den Lebensfaden abschneidet, dies nicht zu früh tue, weil ihm sein Eigentum, sein Traum von Leben doch so wertvoll ist. – Bei genauem Hinsehen liest sich der Schluss in diesem Sinn: das wertvolle Eigentum ist eben nicht Besitz, sondern das eigene Leben, der Herd als Sonne unseres Inneren.

Wir sollten ihr viel mehr Achtsamkeit schenken, sie viel mehr schützen! – Dass der Traum nicht ende – die Möglichkeit eines bewussten menschlichen Daseins, das unserem Leben dann wahrhaft eigentümlich ist!

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