Wenn der Gehirnstrohsack trocken raschelt. – Geniale Gedanken Ricarda Huchs zu Herz und Verstand, Kunstwerk und Machwerk.

Im geistigen Fundament unserer Kultur macht das Werk dieser imponierenden Frau (1864-1947) einen, wie ich finde, bedeutenden Teil aus. Wie konsequent sie ihren Gedanken verhaftet blieb, zeigt, dass  sie 1933 anlässlich der Machtergreifung Hitlers aus der Preußischen Akamie der Künste austrat und in der Rassenfrage der Nazi-Ideologie einen kompromisslosen Standpunkt einnahm. Noch 1943 widmet sie ihre historischen Studien mutig und wie selbstverständlich den Opfern des Widerstandskreises Münchener Studenten.

Zeitlebens umkreist ihr Denken die Einheit von Natur und Geist und die Versöhnung des Menschen mit der Natur. Kein Wunder widmet sie in ihren Schriften der Romantik ihr Augenmerk und es ist keineswegs ein Widerpruch, dass sie dem heimlichen Romantiker Goethe folgt in seiner Lehre von den Urphänomenen, die erkennen lassen, dass es die „göttlichen Ideen sind, die Urbilder und auch Vorbilder (…), die die Wirklichkeit bestimmen.“

Ihre Impulse zu einer Befreiung der Frau ihrer Epoche könnten durchaus heute wieder mehr Beachtung finden, denn gerade heute vermissen wir Frauen wie Ricarda Huch, die sich zu Freiheit und Humanität menschlichen Seins auf einer klaren geistigen, weil religiösen Grundslage klar bekennen. Freiheit des Menschen zeigt sich für sie in einem Bewusstsein als homo religiosus, und zwar in der Überwindung eines egoistischen Standpunktes – das meint sie, wenn sie von Selbstbewusstsein spricht –  durch ein Gottesbewusstsein.

Es ist genau das, was Johannes der Täufer anspricht, wenn er schreibt: ER muss wachsen, ich aber muss abnehmen.

Unter anderem ihre im Folgenden zitierten Gedanken dazu, was ein Kunstwerk von einem Machwerk unterscheidet, finde ich einfach genial, geben sie doch sozusagen eine Anweisung, wie ich Ersteres erkennen kann. Doch wie so oft geht es auch um das Thema von Herz und Verstand.

Es lohnt sich, diesen Auszug aus  Luthers Glaube aufmerksam zu studieren. Satz für Satz finden sich beachtenswerte Gedanken:

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Manche Menschen scheinen allwissend zur Welt zu kommen und sind mit fünfzig Jahren kaum reifer als mit fünfzehn; sie haben einen vollen Speicher in ihrem Gehirn, aber er belastet sie mehr, als dass sie ihn nützen könnten. Die Bausteine sind da, aber die Melodie der Seele nicht, die sie zusammenzauberte. Je müder das Herz wird, desto frostiger raschelt der Gehirnstrohsack; man fühlt, dass da kein Wort hilft, sondern nur das Zuströmen frischen, feurigen Blutes.

Die Zwietracht zwischen Kopf und Herz oder dem unbewussten und bewussten, ich sage lieber , dem gottbewussten und selbstbewussten Wort ist von jeher aufgefallen. Man bemerkte, dass Kinder, Narren und Betrunkene die Wahrheit sagen, man betäubte die delphischen Priesterinnen, zu denen man ohnedies einfache Bauernmädchen, nicht Gelehrte wählte. Viele Menschen werden erfahren haben, dass ihnen etwas nicht einfällt, wenn sie sich darauf besinnen, sondern erst, wenn sie nicht mehr daran denken; auf Fragen, die das wache Selbstdenken nicht lösen kann, taucht oft die fertige Antwort des Morgens aus dem Schlafe. spirat ubi vult, der Geist weht, wo er will […]

Viele, die das genannte Wechselverhältnis zwischen Menschen- und Gotteswort bemerkt haben, suchen sich dadurch genial, das heißt schaffend, zu machen, dass sie den Verstand ganz unterdrücken, womöglich nichts lernen und über nichts nachdenken; was aber tatsächlich nicht dem Geist, sondern dem Fleisch zugute kommt.

Sobald der Kopf das Herz verdrängen und ersetzen will, ist der Mensch dem Tode geweiht, wird er aus einem lebendigen Organismus zu einem Automaten.

Dass nach der Auffassung der Bibel und Luthers Gott durch das Herz mit dem Menschen verbunden ist, habe ich schon mehrmals erwähnt; du dachtest dabei aber wohl nicht an das körperliche Herz und nahmst es für einen bildlichen Ausdruck. „Die Liebe Gottes“, heißt es in den Römerbriefen, „ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.“ Die Wiedergeburt bestehe darin, sagt Luther, dass man ein neues Herz und neuen Mut gewinne […]

Alle genialen Menschen haben dieselbe Ansicht geäußert. „Der Kopf fasst kein Kunstprodukt als nur in Gesellschaft mit dem Herzen. Der Betrachtende muss sich produktiv verhalten, wenn er an irgendeiner Produktion teilnehmen will.“ Dieser Ausspruch ist von Goethe; ich glaube, es ist überflüssig, andere aufzuzählen. Alles Begriffliche, Abstrakte kommt aus dem Kopfe; die Gedanken, die aus dem Herzen kommen, sind daran zu erkennen, dass sie nicht abstrakt, sondern sinnlich, bildlich sind. Das Herz denkt in Bildern […] Wenn Goethe sagt: „Große  Gedanken und ein reines Herz, das ist´s, was wir uns von Gott erbitten sollten“, so meint er sicherlich eben solche Gedanken, die aus dem Herzen kommen, Ideen oder Urbilder, göttliche, nicht Menschengedanken.

„Auch bei der bildenden Kunst ist das Letzte, das Entscheidende in aller Wirkung der Rhythmus.“ Diesen Ausspruch von Heinrich Wölfflin führe ich dir an als einen Beweis von Übereinstimmung mit meiner Ansicht, dass Kunst und Poesie aus dem Herzen kommen. Rhythmus ist nämlich nichts anderes als Herzschlag, und der mangelnde oder vorhandene Herzschlag ist ein Prüfstein, um Machwerk und Kunstwerk zu unterscheiden.

Wieviel Sinnlichkeit ein Herz binden und im Gehirn befestigen kann, das ist für die nachchristliche Zeit ausschlaggebend, der Umweg über das Gehirn ist nicht auszuschalten. Ohne diesen bleibt die Kunst bei uns im Kindlichen und Volksmäßigen stecken, wie sie ohne das sinnliche Herz akademisch und schablonenhaft wird.

Das Gehör ist der Weg, der das Wort zum Herzen leitet; wer musikempfindlich ist, weiß ohne Weiteres, dass das Ohr im Herzen mündet. In göttlichen Worten, in Dichter- oder Zauberworten, ist das Herz der Menschheit gebunden, es ist also selbstverständlich, dass das einzelne Herz mit ihnen verbunden sein muss.

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