Worte in Liebe: Rainer Maria Rilke „Du, der ichs nicht sage …“

Mit dem im Folgenden abgedruckten Gedicht werden wir Zeugen einer Sprachkunst, wie sie vielleicht auch nur Liebe gibt.

Schon der Beginn ist ein Kunstwerk für sich:

Rilke spricht eine Frau, vielleicht seine Geliebte, direkt an: Du,  …

Nun müsste der Satz weitergehen:

Du, ich sag Dir´s nicht – oder

Du, Dir sag ich´s nicht …

Rilke aber schreibt:

Du, der ich´s nicht sage

Er beginnt mit einem unmittelbaren Du, doch sogleich  schreibt er zärtlich achtsam, sich als Sprechenden zurücknehmend, weiter: … der ich´s nicht sage

Und so auch fährt er fort: … deren Wesen mich müde macht / wie eine Wiege.

Das lyrische Ich, sicherlich identisch mit Rilke, fühlt sich umgeben vom Wesen der Geliebten, eingebettet wie in einer Wiege liegt er in ihrem Wesen. Das ist merkwürdig, das heißt, des Merkens würdig: Männliches wird von Weiblichem beschützt, gewiegt. – Wiege ist Schutz und Heimat.

Wer so voller Vertrauen sich dem Wesen eines anderen hingibt, darf müde werden, sich hingeben dem anderen …

Da ist Müdigkeit Glück und Seligkeit.

Dies und noch mehr liegt im Beginn dieses Wiegengedichtes.

Denn noch etwas ist verwunderlich:

Warum schreibt Rilke … der ich´s nicht sage, wo er doch just es in diesem Moment sagt?!

Klar, mag jemand einwenden, dass Rilke es für sich schreiben kann.

Das trifft zu, und zugleich nicht. Denn Rilke weiß um den Weltinnenraum, von dem er ja selbst geschrieben hat, um eine Realität zu erfassen, die er zum Ausdruck zu bringen sucht in dem von ihm neu geschöpften Wort Weltinnenraum.

In diesem gibt es keine Grenzen. Da fliegen Vögel durch mich hindurch, da seh ich hinaus und sehe den Baum, der auch in mir wächst; da schreibe ich, und es ist schon gesagt, veröffentlicht in dem einen Raum.

In diesem Weltinnenraum der Liebe gelten andere Gesetze als im Weltaußenraum; dort gilt:

Wer Liebe bekennt, lügt … Das jedenfalls, so sieht es Rilke, zeigt die Erfahrung, wenn man Liebenden zuhört; der Mund hat keine Verbindung zum Herzen.

Von solch einer Liebe aber schreibt Rainer Maria Rilke nicht!

Rilkes Weltinnenraum nämlich ist die Wiege der Liebe.

 

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Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Du, der ichs nicht sage …

Du, der ichs nicht sage, dass ich bei Nacht

weinend liege,
deren Wesen mich müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
– – – – –
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
– – – – –
Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist du´s, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren,
du nur, du wirst immer wieder geboren:
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.

 

mehr Rilke hier und auf meiner Ethikpost
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