Ein echter Morgenstern: Vom spirituellen Blumenpflücken und Kränzchenwinden.

So wie sich Christian Morgenstern sicherlich köstlich amüsierte über jene Menschen, die sich die Köpfe zerbrachen darüber, wie denn seine humorig-sarkastisch-slapstick-komödiantische Wortakrobatik (O Greule, Greule, wüste Greule! / »Du bist verflucht!« so sagt die Eule. / Der Sterne Licht am Mond zerbricht. / Doch dich zerbrachs noch immer nicht.) zusammenpasse mit seiner feinsinnigen und höchst anspruchsvollen spirituellen Lyrik (man denke an sein Gedicht Luzifer) , so setzt er im folgenden Gedicht mal geschwind alle selbstgefälligen Reiki-Turteltauben, Astro-TV-Gläubigen und selbst ernannten Heiligen, die über alles Esoterisch-Spirituelle Bescheid wissen und die einen – so meine Erfahrung – immer belehren, auch dann, wenn man nichts hören möchte, und die vor lauter Beleerungseifer meistens nicht wahrnehmen können, wie es um das Bewusstsein ihres Gegenüber bestellt ist, auf eine deutliche und unverblümte Weise Schach matt.

Er gibt aber selbst ernsthaft Suchenden Worte mit, die aufrüttelnd sind und Seelenjahre retten können, Jahre, die nicht unverrichteter Dinge vergehen, was möglich ist, wenn man nicht erkennt, dass man steckengeblieben ist im Blumenpflücken und Kränzchenwinden.

In den ersten drei Strophen markiert er, was nach einer gewissen Zeit des spirituellen Vorwärtsschreitens zum Blumenpflücken und Kränzchenwinden, das er in der vierten Strophe anspricht, werden könnte:

  • Stilles Glück ist auf Dauer kein Indiz für geistig-seelisches Wachstum (im Gegenteil! – wer hätte das gedacht!), auch nicht, wenn man doch überall Nahrhaftes zu entnehmen weiß.
  • Und sich einen Reim machen zu können auf Weisheiten, dies selbst Geschautes bestätigen, ist ebenfalls nicht unbedingt ein Indiz, genauso wenig wie die Tatsache,
  • dass man doch – hach – so dankbar ist, so dankbar für alles, so dankbar (mehr Dank geht einfach nicht) . . .

Christan Morgensterns Kommentar ist glasklar – man lese selbst:

 

›Ich will aus allem nehmen, was mich nährt,
was übereinstimmt mit mir längst Vertrautem;
so wird mir manches stille Glück gewährt.

In Eurer Weisheit fand ich manch geheime
Bestätigung zu von mir selbst Geschautem
und brachte sie zu meiner Art in Reime.

Es gibt so vieles Schöne, Gute, Wahre;
wie bin ich dankbar, daß ich Mensch sein darf
und immer Neues solcher Art erfahre!‹

Erfahre denn noch dies dazu: entfernt
bist du vom Ernst noch. Dein Gewissen warf
dir noch nicht vor, daß Weisheit sich nur – lernt.

Mit solchem Blumenpflücken, Kränzchenwinden –
was ist getan? sieh dir ins Angesicht
und prüfe, ach, solch allzu lau Empfinden.

Du fühlst der Weisheit Weg noch nicht als – Pflicht.
Und so: ob von Glühwürmchen oder Sternen
dir Licht zufließt – dir ist’s das gleiche Licht.

Dir sind die echten Tiefen, wahren Fernen
noch stumm; sie, deren Siegel einzig bricht:
ein tiefdemütig lebenslanges – Lernen.

 

Für manchen, der sich so fortgeschritten und mit dem Kreuz auf den eigenen Schultern schon kurz vor Golgatha dünkt, schreibt Christian Morgenstern ab der vierten Strophe: Dir sind die echten Tiefen noch stumm! Du weißt noch nicht einmal, dass sie versiegelt sind. Entfernt bist Du vom Ernst noch – wahre Weisheit ist ein immerwährender Lernprozess, kein ach sich selbst so genügendes stilles Glück.

Er mag an jenen Satz seines spirituellen Lehrers Rudolf Steiner gedacht haben, der jenem so wichtig war: in christo morimur – in Christus sterben wir. Wer ihn versteht, weiß um die Tiefen der Demut, die es zu erlangen gilt.

Wer in allem, was er tut, sich bewusst ist, dass es nicht um das eigene Ich geht – das stirbt, wenn es gutgeht, bei jeder unserer Taten immer wieder am Kreuz (und das ist leicht gesagt, aber wer vermag es zuzulassen?)  -, sondern um die Auferstehung eines neuen Bewusstseins, von dem unsere Erde leider noch wenig weiß, der pflückt nicht mehr Blümchen, sondern weiß um die Rose, die aus der Mitte des Kreuzes und damit im eigenen Herzen erblüht.

Und für die, die – hach – doch so demütig sind, rät er, nicht schon wieder sich ein Kränzchen zu winden, denn: Demut lernt man ein Leben lang – tiefdemütig.

Was für ein Gedicht!

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3 Antworten zu Ein echter Morgenstern: Vom spirituellen Blumenpflücken und Kränzchenwinden.

  1. Gerry Huster schreibt:

    Wirklich ein sehr schönes Gedicht. Vielen Dank!

  2. Thomas schreibt:

    Vielen Dank für diese Betrachtung einer Betrachtung. Mit Morgenstern habe ich mich offenbar noch zu wenig beschäftigt, birgt er doch (s. Ihr Beitrag vom Januar des gleichen Jahres) sehr verdichtete Tiefe – aber auch Untiefen. Allzu deutlich wird, wie das beschriebene schwärmerische Ergriffensein von der eigenen „Weisheit“ eher einen vorläufigen Tiefpunkt der jeweiligen Entwicklung abbildet. Davor, meine ich, ist niemand gefeit. Beim Lesen fühlt man sich ertappt, ein wenig wie das ergriffene Publikum von Beethovens Improvisationen als er den Deckel des Pianos zuschlug und „Ihr Narren“ brüllte. Ganz in der Nähe von mir liegt das Morgenstern-Haus der Witwe des Dichters in welchem sie wohl auch den Nachlass ordnete und einiges herausgab. Ein Grund mehr, sich nach Ihren erhellenden Zeilen mit dem Werk zu beschäftigen. Danke!

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