Auf der Suche nach dem Feuer: Ingeborg Bachmanns Flammentod und ihr „Erklär mir, Liebe“

In einem platt realistischen Sinn könnte es ein ganz banaler Brandunfall gewesen sein, der dieser großen und doch auch sprachlosen Schriftstellerin widerfährt, als sie am 26. September 1973 in ihrer römischen Wohnung Verbrennungen in einem Ausmaß erleidet, dass sie ihnen am 17. Oktober erliegt.

Doch spielen die Motive und Wirklichkeiten von Feuer und Auferstehung in ihrem Werk eine so bedeutende Rolle, dass ihr Tod kein Zufall ist, so wie es nie ein Zufall ist, wie ein Mensch stirbt.

In dem vielleicht programmatischsten ihrer Gedichte, dem Gedichtzyklus Lieder von einer Insel heißt es am Schluss:

Es ist Feuer unter der Erde,
und das Feuer ist rein.

Es ist Feuer unter der Erde
und flüssiger Stein.

Es ist Strom unter der Erde,
der strömt in uns ein.

es ist Strom unter der Erde,
der sengt das Gebein.

Es kommt ein großes Feuer,
es kommt ein Strom über die Erde.

Wir werden Zeuge sein.

Zuvor hieß es schon in diesem Gedichtzyklus:

Wenn du auferstehst,
wenn ich aufersteh,
ist kein Stein vor dem Tor,
liegt kein Boot auf dem Meer.

Morgen rollen die Fässer
sonntäglichen Wellen entgegen,
wir kommen auf gesalbten
Sohlen zum Strand, waschen
die Trauben und stampfen
die Ernte zu Wein,
morgen am Strand.

Wenn Du auferstehst,
wenn ich aufersteh,
hängt der Henker am Tor
sinkt der Hammer ins Meer
________

Einmal muss das Fest ja kommen!
[…]

Wenn der Henker hängt, stirbt niemand mehr auf diese Weise, die er verkörpert. So mutet diese Aussage fast beschwörend an und lässt erkennen, wie sehr ein Morgen ersehnt wird, der diesem Henkerregiment folgt.

Nicht von ungefähr lautet ein Satz dieses Zyklus:

Jetzt seid standhaft, törichte Heilige …j

Der Strom der Erde, ihr Feuer, das in uns einströmt, lässt uns aktiv sein, damit geschehen kann, dass wir wirklich die Ernte zu Wein stampfen, dass wir auferstehen, denn: Einmal muss das Fest ja kommen!

Auffällt, dass von der Zukunft die Rede ist, aber von ihr im Präsens geschrieben ist.

Es gibt Menschen, die auf Besserung, ja auf Auferstehung setzen und sagen: Es wird geschehen.

Doch diese Zeitstufe des Futur verrät schon, dass sie möglicherweise tief in ihrem Inneren glauben, dass dies alles immer Futur, also Zukunft bleiben wird.

Das Deutsche erlaubt uns, Zukünftiges auch im Präsens auszudrücken: Bald bin ich gesund, morgen stehe ich auf!

Ingeborg Bachmann nutzt diese Möglichkeit, die ihr die Grammatik unserer Sprache bietet:

Die Fässer rollen, wir kommen, wir stampfen …

Zwar bleibt ein Rest von Ungewissheit in diesem „Morgen„, das auch noch zu Beginn der Strophe steht, doch wirkt das immer wiederkehrende Präsens wie ein ständiges Lösen des Seils, damit der Hammer ins Meer sinke und niemanden mehr treffe! Wir nehmen dem Henker seine grausame Waffe!

Wir! Wir müssen handeln, damit ICH und DU auferstehen können!

Immer wieder treffen wir im Werk der Ingeborg Bachmann auf diese psalmenhaft beschwörende, zugleich oft hoffnungsvolle Sprache, diesen sakralen Tonfall.

Umso wichtiger ist es zu hören, was diese Frau sagt, wenn sie mit der Liebe in einen Dialog tritt und diese bittet: Erklär mir, Liebe!

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Erklär mir, Liebe

Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat´s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –

Erklär mir, Liebe!

Der Pfau, in feierlichem Staunen schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur einen Sinn, ich fühlte auch,
dass Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!

Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
so arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!

Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muss einer denken? Wird er nicht vermisst?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn . . .
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

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Was würde die Liebe antworten, wenn sie aufgefordert würde zu erklären?

Würde sie nicht antworten:

Warum soll ich erklären, warum soll ich denken, wo Du doch an Deinem Denken schon verzweifelst?

Wie willst Du die Liebe finden, wenn sie das tut, was Du tust und damit nicht glücklich bist? Warum soll sie erklären, denken?

Du glaubst, der Salamander habe keine Schmerzen, wenn er durch das Feuer gehe, Du glaubst, er sei gefühllos?

Du glaubst, Liebe habe keine Schmerzen, wenn sie liebt, Du glaubst, Liebe sei gefühllos?

So etwas kann man nur glauben, wenn man denkt!

Der Salamander ist das Feuer.

Fühlendes Lieben IST die Liebe.

Den Salamander verstehst Du nur, wenn Du selbst Feuer wirst.

Die Liebe verstehst Du nur, wenn Du selbst Liebe wirst.

Wenn sich Dein Hut lüftet,

wenn Dein liebender Kopf Wolken grüßt,

wenn Du lachst und weinst und an Dir zugrund gehst,

wenn Du ins Korallenbett stürzt, tanzt, riechst, die Herrlichste riechst,

wenn Du Welle bist und Deine Schwester an der Hand nimmst,

wenn Du ein Stein bist und Deinen Bruder erweichst.

Wenn Du aufhörst, das Denken zwischen uns treten zu lassen, sondern wirst                       wie ich …

Dann bist Du Feuer, bist Liebe, bist das Feuer der Liebe.

Wie schnöde dagegen mutet der reale Tod Ingeborg Bachmanns an; eine Zigarette löste einen Brand aus und ihre große Tablettenabhängigkeit mag dazu geführt haben, dass sie selbst die Verbrennungen zu spät wahrnahm; hartnäckig zugleich halten sich die Gerüchte um einen möglichen Selbstmordversuch.

Ihr spätes Werk ist gekennzeichnet durch ihre Auseinandersetzung mit ihrem Dasein als Frau. Sie spricht von den Schmerzen, die Frauen in ihrem Zusammenleben mit Männern ertragen müssen.

In Drei Wege zum See, ihrer letzten Erzählung, lässt sie die Heldin etwas sagen, was natürlich auch zu tun hat mit den Erfahrungen der Ingeborg Bachmann in ihrer tragischen Beziehung zu Max Frisch:

Solange es diesen Neuen Mann nicht gab, konnte man nur freundlich sein und gut zueinander, eine Weile. Mehr war nicht daraus zu machen, und es sollten die Frauen und Männer am besten Abstand halten, nichts zu tun haben miteinander […]

So spiegelt einer ihrer Gedichttitel – Fall ab, Herz – das Lebensschicksal dieser so sensiblen Frau wieder.

Das Gedicht beginnt:

Fall ab, Herz, vom Baum der Zeit,
fallt, ihr Blätter, aus den erkalteten Ästen,
die einst die Sonne umarmt´,
fallt, wie Tränen fallen aus dem geweiteten Aug!

Und seine letzte Strophe lautet:

Und was bezeugt schon dein Herz?
Zwischen gestern und morgen schwingt es,
lautlos und fremd,
und was es schlägt,
ist schon sein Fall aus der Zeit.

                                                    Die Gedichte sind zitiert aus  
                                                   Ingeborg Bachmann, Sämtliche Gedichte, Piper,
                                                   München/Zürich 2002
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