Reformationsgeschichte als Heimatkunde. – Von Ohrfeigen auf der Kanzel und einem Einschussloch im Messgewand.

Von einem Raubritter, der Monstranzen zu Geld machte, von Kollekten, die während der Predigt gesammelt und gleich an Arme und Bedürftige verteilt wurden und warum die Frau eines Lutheraners zur Strafe des öffentlichen Steintragens verurteilt wurde, von dem Vorwurf, Kinder in deutscher Sprache zu taufen, sowie einem Heiligenholz, das zum Mittelpunkt einer Auseinandersetzung wurde:

Die Jahrzehnte, die auf Luthers 95 Thesen folgten, ließen an Turbulenzen nichts zu wünschen übrig, Handgreiflichkeiten, Gefängnisstrafen, Vertreibungen inclusive – darüber berichtet ein liebevoll gestaltetes Buch.

> Kleine Reformationsgeschichten <, so lautet der Titel eines von der Bayreuther Regionalbischöfin Dorothea Greiner, Professor Günter Dippold und anderen herausgegebenen Buches, das 33 Geschichten aus dem Kirchenkreis Bayreuth erzählt; bisweilen sind sie skurril, ja komisch, immer wieder menschelt es sehr; zugleich aber geben sie auch Zeugnis davon, dass das Reformationsjahrhundert eine Zeit voller innerer Nöte war, doch dass es zugleich geprägt war von mutigen Menschen, die zwar nur selten ihr Leben, oft aber ihre heimatliche oder auch berufliche Existenz riskierten, ja verloren, und mit ihrem persönlichen Einsatz dafür Sorge trugen, dass ein erstarrter Glaube wieder lebendig werden konnte.

Wenn es rustikaler zuging, dann unter anderem in der Art, dass, wie aus Buchau berichtet wird, 150 Bürger einen katholischen Geistlichen, der im Zuge der Gegenreformation über die Köpfe der Bevölkerung hinweg vom Bischof in sein Amt eingesetzt worden war, malträtierten und ihn in seiner Wohnung misshandelten, indem er einen „Potchambre”, sprich Nachttopf, habe austrinken müssen. Dass im Zuge des Dreißigjährigen Krieges, ein Jahrhundert nach Beginn der Reformation, alles unendlich grausam und schlimm werden sollte – wir wissen das unter anderem aus Grimmelshausens Simplicius Sinplicissimus – ist so bedauerlich wie bekannt.

Kleine Reformationsgeschichten ist kein ideologisch protestantisch gefärbtes Buch, im Gegenteil, findet sich doch am Ende jedes Kapitels ein Abschnitt mit Hinweisen darauf, wie Ökumene heute in der Gemeinde, aus der der vorausgehende Bericht bzw. die Erzählung stammt, praktiziert wird. Außerdem verweist Dorothea Greiner in ihrem Vorwort darauf, dass auch das Redaktionsteam ökumenisch aufgestellt war.

Das Buch will nicht missionieren. Es macht dankbar und schafft Respekt für Geschichte, für unsere Geschichte. Wir können uns kaum mehr vorstellen, dass ganze Dörfer für ihren Glauben gleichsam ins Feld zogen und man ahnt, wie sehr den Menschen eine Verbindung nach oben wichtig war.

Heute sehen manche Bankgebäude traditionellen Kirchen ähnlicher als moderne Kirchenbauten, die sich architektonisch am Boden hinwegzuducken scheinen. Nicht zufällig haben sie oft keinen Kirchturm bzw. nur eine Taschenausgabe. Darin kommt auch die Krise einer sich zu selten mit Luther-Verve zu ihrem Glauben bekennenden Kirche zum Ausdruck (ich beziehe die katholische ein). – Die Geschichten rund um die Bilder der 33 Kirchen vermitteln, dass Gotteshäuser zu jener Zeit nicht nur den Glauben der Menschen, ihre Ethik, ja ihr Leben bewachten, sondern dass die Bewohner auch ihre Kirche im Dorf haben und ganz bewusst von ihr beschirmt sein wollten.

Auch wenn man nicht aus der oberfränkischen Gegend stammt: Es lässt sich unschwer erahnen, dass auch in unserer jeweiligen Umgebung vergleichbare Geschichten erzählt werden könnten und es macht den Reiz dieses Buches aus, dass der oft fast persönlich anmutende Charakter des Erzählten Geschichte im Grunde für ganz Deutschland hautnah an den Leser heranträgt.

Dazu trägt auch eine gelungene landeskundliche Einführung von Professor Dr. Günter Dippold bei und wer sich für Landeskunde interessiert, weiß, wie aufschlussreich solche Ausführungen sein können. Wir erfahren, wie aufgesplittert in Herrschaftsgebiete jenes Gebiet damals war, wie sehr sich weltliche Herrschaft und Kirche aneinander rieben, es damals – die katholische Kirche mag es kaum glauben – noch eine Priesterschwemme gab (die Lutheraner andererseits mussten in Bamberg ihren Gottesdienst ins Freie verlegen, weil die Stiftskirche St. Gangolf zu klein geworden war), was es mit Pfründen auf sich hat, wie wichtig im Zusammenhang mit der Reformation Kirchenlieder waren, ebenfalls volkstümliche Flugschriften und Einblattdrucke, dass das Stören von katholischen Predigten durch Luthers Anhänger und das Singen von Spottliedern verboten werden musste und dass ein Staffelsteiner 1524 bestraft wurde, weil er liturgische Handlungen parodierte und wie das Wechselspiel von Reformation und Gegenreformation gerade die einfachen Leute traf – cuius regio, eius religio (wes das Gebiet, des die Religion), was nichts anderes zur Folge hatte, als dass manche Untertanen je nach Konfession ihres gerade amtierenden Herrschers mehrfach diese wechseln mussten.

Gleich die erste der 33 folgenden Geschichten erzählt, wie aus einem energischen katholischen Pfarrer ein überzeugter Lutheraner wurde, was damit zusammenhängen könnte, dass er als katholischer Geistlicher im Konkubinat lebte, also in einem eheähnliches Verhältnis, welches er, nachdem er auf Druck der Obrigkeit die neue lutherische Gottesdienstordnung anwenden musste, flugs per Heirat in eine Ehe umwandelte; das nun mag ihm gar nicht unrecht gewesen sein.

Immer wieder finden sich auch interessante historische Details, so z.B. Hinweise zur Rolle Kaiser Karl V. und die für die Protestanten unglückliche seines Bruders König Ferdinand, als der meinte auf dem zweiten Speyrer Reichstag den katholischen Hardliner geben zu müssen, was zur Folge hatte, dass sich „Protestanten” – daher jene Bezeichnung, die in die Geschichte eingegangen ist – zusammenfanden.

Manchmal war es allerdings auch so, dass die neuen evangelischen Pfarrer nicht sonderlich von der neuen Lehre überzeugt waren und deren Vermittlung nur von mäßiger Qualität war; vielleicht lag es auch, wie im Fall des Ebersdorfer Pfarrers Johann Schmid daran, dass jenem seine Köchin und Konkubine wichtiger war als religiöse Verkündung.

Es finden sich nicht nur, wie angesprochen, Bilder der Gemeinden und ihrer Kirchen, wobei vielen deutlich werden mag, wie sehr Kirchen gerade noch im Bayrischen das Bild unserer heimatlichen Landschaft prägen, es finden sich des Weiteren ein vergoldeter Abendmahlskelch von 1560, der heute noch von der Kirchengemeinde verwendet wird, ein wunderschöner gotischer Kreuzgang von 1473, das Lutherfenster der Neustadter Stadtkirche, Wandfresken mit Szenen aus dem Marienleben, ein spätmittelalterliches Sakramentshäuschen, Blicke in Kirchenräume . . . die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.

Heute, wo wieder der Begriff Heimat in so vieler Munde ist und leider in großer Oberflächlichkeit missbraucht wird, vermittelt dieses Buch einen Blick auf Jahrzehnte wichtigster Deutscher Geschichte und lässt ahnen, dass unsere gesamte Geschichte ein wertvolles Gut ist.

Reformationsgeschichten_3D-Cover.jpgDass das Bewusstsein dafür nicht gänzlich schwindet, dazu trägt dieses liebevoll gestaltete Buch bei, das mit 13.90 € seinen Preis, wie ich finde, wert ist.

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