Die dunkle Seite der Romantik: Einlullen als Lebensprinzip. – „Nachts“ von Joseph von Eichendorff.

Wer annimmt, das folgende Gedicht – Nachts von Joseph von Eichendorff – gäbe meiner Meinung nach die wirkliche Seite der deutschen Romantik wieder, irrt sich gewaltig. Zu ihr gehört die Klarheit eines Novalis ebenso wie all jene Märchen, die das Böse mutig entlarven und wie Gretel mit der Hexe umgehen – notwendig rustikal, ein Vorbild für die, die meinen, man müsse das Dunkle tätscheln.

Böse nun ist das folgende nicht, aber so schön verführerisch:

Ich wandre durch die stille Nacht,
Da schleicht der Mond so heimlich sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
Und hin und her im Thal
Erwacht die Nachtigall,
Dann wieder alles grau und stille.

O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Ströme Gang,
Leis Schauern in den dunklen Bäumen –
Wirr’st die Gedanken mir.
Mein irres Singen hier
Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

Wie schreibt ein Interpret(in) auf der Lyrik-Datenbank Antikoerperchen:

Das lyrische Ich wandert durch die Nacht als der Mond zum Vorschein kommt. Es scheint aber etwas bedeckt zu sein, da er nicht nur einmal hervorkommt, sondern „[o]ft aus der dunklen Wolkenhülle“ schleicht. Hier wird besonders das Auge als Sinnesorgan angesprochen. Außerdem kommen gleich zwei sehr wichtige romantische Motive vor, nämlich die Nacht, die ja schon im Titel vorkommt und der Mond. Diese Motive tragen zu einer gewissen Mystifizierung der Szene bei, vielleicht gruselt sich das lyrische Ich sogar etwas. Es scheint aber kein negatives Gefühl zu sein, denn es gibt kein Wort das darauf hindeuten würde.

Ein Mond, der schleicht, könnte einen schon hellhörig machen und irgendwie sind die Reime doch auch vokalisch und konsonantisch merkwürdig unrein: hülle auf stille und Thal auf –gall.

Wie so oft kein Zufall.

So schön einlullend der Beginn, wenn das lyrische ich durch die stille Nacht wandert (stille Nacht, ach so heilige Nacht …)! Kein Wunder ist sein Singen wie aus Träumen. Nur können Träume auch Alpträume sein und Singen kann so irre sein (in der Interpretation wird im Übrigen später auch darauf verwiesen), auch wenn Eichendorff den Nachtgesang als wunderbar bezeichnet. Dass jener die Gedanken wirrt, kann man schon mal überlesen, zudem: Mancher und manche mag das. Denken kann manchmal so anstrengend sein . . .

Nicht wenige finden auch Heines Lied von der Loreley (Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, / dass ich so traurig bin …) einfach so schön romantisch. Dass da ein Schiffer untergeht – was soll´s! Man muss einfach die Dinge getrennt sehen, die wunderschön singende Helene Loreley oben und den Fischer unten. Was hat das eine mit dem anderen zu tun!?

Der Witz ist: Eichendorff macht eigentlich keinen Hehl daraus, dass das zweimal vorkommende stille sich mit grau kombiniert und dieses Singen irre ist und die Gedanken wirrt. Nur bietet er dem, der es so sehen möchte, den Nachtgesang zugleich als wunderbar an und Rufen aus Träumen ist doch auch irgendwie schön. So wie Sehnsucht.

Auch ein Eichendorff musste schließlich seine Gedichte und Novellen unters Volk bringen und Leutchen, die nicht so genau hingucken, gab es damals und gibt es heute. Das könnte ein Grund sein, warum er so dichtet. Die Realität ist, und das wusste Eichendorff sehr wohl, dass beide angesprochenen Seiten in uns vorkommen, manchmal nur versteckt oder als Möglichkeit, manchmal ganz offensichtlich (unser Romantiker hat diese beiden Seiten hin und wieder auch in einer Person seiner Novellen aufblitzen lassen und sie nicht brav auf zwei verteilt).

Schade nur, dass so viele die deutsche Romantik mit dieser mondschleichenden, gedankenwirren und irr singenden Seite identifizieren. Die Romantik als Tiefenmöglichkeit der Seele hätte so viel Potential, Menschen aus unseligen Träumen zu reißen. Aus einer nur selbstmitleidigen Sehnsucht, einer, die das eigene Selbst so gerne einlullt. Eichendorff hat in seiner Novelle Das Marmorbild durchaus aufgezeigt, wie gefährlich die Venus-Energie ist, wie sehr sie in die Vergangenheit zieht, in eine Welt, die nicht der Realität entspricht. Ich habe das auch für den Zusammenhang mit der Tatsache dass Helena nur als Idol, als griechisch Eidolon, nicht in der Realität, in Troja war, in dem am Schluss verlinkten Video ausführlicher angesprochen; Euripides hat dazu eigens ein Theaterstück geschrieben.

Wir kennen die vielen Wassermänner (Es freit ein wilder Wassermann in der Burg hoch über dem See. Des Königs Tochter muss er han …) und Wasserfrauen, die wir nur für Fiktion halten, für Erfindungen einer vergangenen Zeit, die es mit der Wirklichkeit nicht so ernst nahm und gern ein bisschen herumspann. – Weit gefehlt, diese Gestalten kennen wir oft nur gar zu gut. Eichendorff hat sie immer wieder thematisiert – das wird auch in ihm seinen Grund gehabt haben, schließlich kannte er sich am besten -, gleich übrigens im nächsten Gedicht des Zyklus,  zu dem auch Nachts gehört. Da heißt es nämlich

Er reitet nachts auf einem braunen Roß,
Er reitet vorüber an manchem Schloß:
Schlaf droben, mein Kind, bis der Tag erscheint,
Die finstre Nacht ist des Menschen Feind!

Er reitet vorüber an einem Teich,
Da stehet ein schönes Mädchen bleich
Und singt, ihr Hemdlein flattert im Wind:
Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind!

Er reitet vorüber an einem Fluß,
Da ruft ihm der Wassermann seinen Gruß,
Taucht wieder unter dann mit Gesaus,
Und stille wird´s über dem kühlen Haus.

Wenn Tag und Nacht in verworrenem Streit,
schon Hähne krähen in Dörfern weit,
Da schauert sein Roß und wühlet hinab,
Scharret ihm schnaubend sein eigenes Grab.

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Natürlich fühlt man sich an Goethes Erlkönig erinnert, den Vater, der seinen Sohn nicht ernst nahm und der womöglich für den Vater starb, sonst es Letzterem womöglich so gegangen wäre wie dem Reiter in Eichendorffs letzter Strophe.

Heute schreibt niemand mehr über diese Gestalten, sei es über das schöne Mädchen bleich, sei es  über einen Wassermann. Denen ist das recht, unerkannt sind sie viel wirkungsvoller. Mehr Menschen als uns lieb sein könnte, existieren unter Wasser, immer begleitet von dem unsichtbaren Wassermann, der unsichtbaren Wasserfrau.

Und wir glauben, wir sind Herr oder Frau unserer Sinne.

Nein, Günter Kunert hat dieses Abtauchen in seiner Ballade Wie ich ein Fisch wurde ganz wunderbar und hochmodern gestaltet:

Lasse mich durch dunkle Tiefen träge gleiten,
Und ich spüre nichts von Wellen oder Wind,
Aber fürchte jetzt die Trockenheiten,
Und dass einst das Wasser wiederum verrinnt.

Denn aufs Neue wieder Mensch zu werden,
Wenn man´s lange Zeit nicht mehr gewesen ist,
Das ist schwer für unsereins auf Erden,
Weil das Menschsein sich so leicht vergisst.

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Niemand zwingt einen, Mensch zu sein, es sei denn, man hat z.B. einen wirklichen Freund, der seine Freundschaft nicht darin begründet sieht, auf die Honigstellen des Freundes noch Puderzucker zu streuen, sondern sagt, was er sieht – wenn er es sieht, falls er nicht selbst unter Wasser ist . . .

Aber Freundschaft als Gestaltungskraft des Lebens ist leider auch unter Wasser geraten . . .

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Im Folgenden das angesprochene Video zu der Venus-Helena-Energie im Marmorbild Eichendorffs sowie in der Wagner-Oper Tannhäuser

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