Heute vor 100 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus
In der Literatur – mancher wird Remarques Im Westen nichts Neues gelesen haben -, vor allem aber auch in der Lyrik finden sich Dokumente, die uns ein Menetekel gegen jeden Krieg sein wollen. So auch Trakls Grodek.
Auch nach 100 Jahren will es noch immer eine Mahnung und Erinnerung an unsere Verantwortung dem Leben gegenüber sein.
Der Sohn eines Apothekers, selbst gelernter Apotheker, nimmt als Sanitäter an der Schlacht bei Grodek in Galizien im Herbst 1914 teil. Für den 27-Jährigen ist nicht aushaltbar, dass sie Verletzte auf Verletzte, Sterbende auf Sterbende, grausam Verstümmelte zu ihm, der ein Lazarett betreut, das in einer Scheune untergebracht ist, bringen. Kein Arzt ist da, es gibt keine Medikamente, die Schmerzensschreie, das Wimmern der Sterbenden: Das alles ist unerträglich. Trakl (1887-1914) wird es nicht aushalten; er wird mit einem Selbstmordversuch versuchen, den schrecklichen Bildern dieses Armageddon zu entkommen. Sicherlich steht dieses Geschehen auch in ursächlichem Zusammenhang mit seinem nur kurze Zeit später gewählten Freitod.
In seinem Gedicht verdichtet sich vieles, was dieses Menschenleben ausmacht, eines Lebens, das uns so bemerkenswerte Gedichte hinterließ, wie dieses hier, das uns als mittlerweile geborene Enkel mahnen wollte – es folgte der Zweite Weltkrieg – auch heute noch uns dessen bewusst zu sein, dass der gewaltige Schmerz, der zu den Erinnerungen der Menschheit gehört, dann fruchtbar werden kann, wenn wir, da wo wir leben, in Frieden leben, zu leben versuchen:
Grodek
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
Die expressionistischen Dichter kannten nicht nur wie Georg Heym einen Gott der Stadt – die rasch wachsenden Städte waren ihnen ungeheuerlich -, nein, sie kannten auch einen Gott des Krieges, wie hier Georg Trakl. Der Schrecken personifiziert sich in ihm, seine Nahrung ist das Blut der Gefallenen, das sich still im Weidengrund sammelt.
Die Stille ist die der zerbrochenen Münder, die nicht mehr schreien können.
Ganz unterschiedlich sind die beiden Hälften des Gedichtes, die durch eine Mittelachse – Alle Straßen münden in schwarze Verwesung – getrennt – sagen wir lieber: verbunden werden.
In der zweiten Hälfte finden wir die Schwester, für Trakl Symbol der Reinheit und Hoffnung. Ganz besonders hier wird deutlich, wie sehr Trakls Gedicht von den Stabreimen, den zahlreichen Alliterationen lebt, wenn der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain schwankt.
Und es ist von der heißen Flamme des Geistes die Rede, die durch den Schmerz genährt wird. – Doch es gibt sie, eine Flamme des Geistes!
Damit zusammenhängen mag, dass die ungeborenen Enkel nicht nur die sind, die nun nie gezeugt werden können, sondern auch diejenigen, die der Dichter anspricht: Uns, die Nachgeborenen, die er mit diesem Gedicht beschwört.
Darin mag Trakls Hoffnung gelegen haben.
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